Abb: Skoliosediagnostik; aus: Rigo M, Negrini S, Weiss HR, Grivas TB, Maruyama T, Kotwicki T; SOSORT. Scoliosis 2006, 1:11

Diagnose- Therapieverfahren

Skoliosen

Skoliose ist eine Seitverbiegung der Wirbelsäule bei gleichzeitiger Rotation (Verdrehung) der Wirbel, welche nicht mehr durch Einsatz der Muskulatur aufgerichtet werden kann. Die Wirbelsäule bildet dabei in der Regel mehrere, einander gegenläufige Bögen, die sich kompensieren, um das Körpergleichgewicht aufrecht zu erhalten (S-Form).

Skoliosen, deren Ursache unbekannt ist, werden als idiopathische Skoliosen (90%) bezeichnet. Von der anatomisch fixierten „idiopathischen“ Skoliose muss die sekundären Skoliosen unterschieden werden, bei denen die die Ursache geklärt ist.

Funktionelle Skoliosen treten immer kompensatorisch bei Beinlängendifferenzen auf und erreichen nie die hohen Krümmungsgrade idiopathischer Skoliosen. Anatomische fixierte sekundäre Skoliosen können auch durch Wirbelfrakturen, Knochenfehlbildungen, und Nervenerkrankungen auftreten.

Die idiopathische Skoliose entsteht bereits im 3. Lebensjahr („infantil“), zwischen dem 4. und 10. LJ („juvenil“) oder ab dem 11. LJ. („adoleszent“) und verschlechtert sich während der Jugend in Zeiten verstärkten Körperwachstums.

In einem Viertel der Fälle kommen idiopathische Skoliosen auch gehäuft bei blutsverwandten Familienangehörigen vor, was auf eine genetische Komponente hindeutet. Auch wenn die Ursachen der Skolioseentwicklung nach wie vor nicht gesichert sind, ist grundsätzlich auch bei Skoliosen zu beachten, dass die Knochenform der muskulären Spannung folgt („form follows function“), was einen funktionellen Therapieansatz nahelegt.

Skoliosewinkel

Bei jeder Untersuchung des Bewegungssystems muss der Vorbeugetest (Adam’s Test) durchgeführt werden. Dabei neigt sich der Patient mit locker hängenden Armen und durchgestreckten Beinen nach vorne über (eine eventuelle Beinlängendifferenz muss mit einer Unterlage ausgeglichen werden), der Untersucher blickt dann von hinten über den Rücken und erkennt eventuelle Asymmetrien wie einseitig erhöhte Rippen und Schulterblätter (beginnender Rippenbuckel), einseitig stärker ausgeprägte Lendenmuskulatur (der sog. Lendenwulst) und einen gekrümmten Verlauf der Wirbelsäule.

Im Kindes- und Jugendalter sollte dann radiologisch untersucht werden. Gerade so erkennbare Verdrehungen der Wirbelsäule und der dazugehörigen Rumpfabschnitte entsprechen häufig bereits einer seitlichen Verkrümmung von bis zu 20° nach Cobb,
Eine Wirbelsäulenganzaufnahme von vorne oder hinten welche an einem Stück die Beckenkämme abbildet und bis zur Halswirbelsäule reicht, wird zu einem späteren Zeitpunkt als Vergleichsaufnahme dienen, um die Entwicklung der Skoliose bestimmen zu können.

Anhand des Röntgenbildes wird der Winkel der einzelnen Krümmungen nach Cobb bestimmt sowie die Verdrehung (Torsion, Rotation) der Wirbel. Prognostisch wichtige Daten sind außerdem das Alter des Patienten, bei Mädchen der Zeitpunkt der ersten Regelblutung und die Reifezeichen (Entwicklung der Brüste, Achsel- und Schambehaarung).

Röntgenuntersuchungen der Wirbelsäule sollten aus Gründen des Strahlenschutzes keinesfalls häufiger als einmal pro Jahr stattfinden.

Die häufig angebotenen lichtoptischen 3D-Wirbelsäulenvermessungen sind zur Definition einer Skoliose keinesfalls geeignet, nach röntgenologischer Definition mit zeitgleich durchgeführter 3D-Messung aber zur 3-bis 6-monatigen Verlaufskontrolle sinnvoll.

Im zeitlichen Verlauf der Skelettentwicklung zeigen sich nur 5 % der juvenilen Skoliosen nicht fortschreitend. Die übrigen nehmen bis zum Erreichen des 10. Lebensjahres jährlich um etwa 1-5° Cobb zu, nach Abschluss des 10. Lebensjahres, während des pubertären Wachstumsschubes, um 5-10° Cobb pro Jahr. Innerhalb eines halben Jahres können sie jedoch auch um bis zu über 40° Cobb zunehmen.

Da sich die Mehrzahl der unbehandelten Skoliosen verschlechtert, kommt der Früherkennung eine herausragende Bedeutung zu, wie klar und einfach dies ist, haben Sie gelesen.

Was ist zu tun?

Es gibt nach unserer Auffassung nicht den Skoliosewinkel bis 10°, der nicht behandelt werden müsste. Muskuläre Dysbalancen müssen diagnostiziert und behandelt werden, gleichgültig ob bei 10° oder 30° Skoliosewinkel. Wir verwenden hierzu die Techniken der Applied Kinesiology und funktionellen Neurologie.

Wertvolle Dienste leistet die Atlastherapie (Meissner, J. (1992) "Skoliosebehandlung und Atlastherapie.", Orthop. Praxis 6, Seiten 397 – 403; Meissner, J. (1996) "Einflußnahme auf des Verhalten progredienter Skoliosen mit manuellen Techniken.", Manuelle Medizin 34, Seiten 148 - 170

Entscheidend ist die konstante Übungsbehandlung bis über den Abschluss des Wachstumsalters hinaus, die zunächst angeleitet, dann selbstständig geschehen kann. Die bekanntesten krankengymnastischen Methoden zur Behandlung von Skoliosen sind im deutschsprachigen Raum die Skoliosebehandlung nach Katharina Schroth und die Methode Vojta. In unserer Praxis praktizieren wir die Methode der Spiraldynamik, welche ähnlich wie die Schroth-Methode auf zunächst bewusstes, später automatisiertes Aufrichten abzielt.

Propriozeptive Einlegesohlen sind meist indiziert, die assymmetrisch hergestellt werden, eine kieferorthopädische Untersuchung und –wenn indiziert – Funktionstherapie ist angezeigt, da vom kraniomandibulären System eine sehr ausgeprägte funktionsbestimmende Wirkung auf die Wirbelsäule ausgeht. Wir haben sehen können, das die kieferorthopädische Multibandbehandlung („feste Spange“) ohne Berücksichtigung der Wirbelsäulenfunktion zu sehr schneller Entwicklung einer Skoliose beitrug. Hiermit ist nicht gesagt, dass dies ohne entsprechende Anlage der Fall gewesen wäre. Positiv ausgedrückt: Der Aufrichtung der Wirbelsäule muss eine Anpassung des Bisses folgen, damit die alte Bisslage nicht die orthopädischen Maßnahmen zunichte macht.

Es gibt die Auffassung, dass Skoliosen ab einem Winkel von 20°, andere sprechen von 30° mit einem Korsett behandelt werden müssen. Wir machen auch bis knapp unter 30° Skoliosewinkel den Versuch einer aktiven funktionellen Therapie unter engmaschiger Kontrolle des Skoliosewinkels. Damit gelingt es in der Regel, um das Korsett oder die Operation herum zu kommen.

Für Korsett-Behandlungen überweisen wir an kinderorthopädische Spezialzentren, diese indizieren im Zweifelsfalle Operationen an entsprechenden operativen Zentren.